Gasteditoren: Niels Reith und Aysel Yollu-Tok
Generationengerechtigkeit ist zu einem zentralen Leitbegriff gesellschaftlicher Debatten geworden, insbesondere dann, wenn der Eindruck entsteht, dass unterschiedliche Generationen ungleich behandelt werden. Aktuell erhält der Begriff besondere politische Brisanz, weil demografische Verschiebungen, Rentenreformen, Bildungsinvestitionen, Klimapolitik und Staatsverschuldung zunehmend als Fragen der Verteilung zwischen Generationen verhandelt werden. Doch was bedeutet Generationengerechtigkeit im Kontext des modernen Sozialstaates?
Während politische Diskussionen häufig auf finanzielle Tragfähigkeit und Schuldenbremsen fokussieren, greift eine rein fiskalische Sichtweise zu kurz. Generationengerechtigkeit meint mehr als das Vermeiden von Belastungen zukünftiger Generationen: Sie betrifft die Ermöglichung ihrer Handlungsfähigkeit. Damit steht sie in engem Zusammenhang mit der Idee positiver Freiheit – also der Freiheit zu sozialer, ökologischer und ökonomischer Teilhabe (Sesselmeier 2025)[1]. Ein zeitgemäßer Begriff von Generationengerechtigkeit verlangt somit, den Sozialstaat nicht nur als Sicherungs-, sondern auch als investiven Staat zu denken: als Institution, die Bildung, Familienpolitik, Gesundheitsversorgung, Pflege, soziale Infrastruktur und ökologische Transformation so gestaltet, dass sie die Lebens- und Handlungsspielräume künftiger Generationen erweitern.
Das geplante Themenheft möchte die unterschiedlichen Dimensionen von Generationengerechtigkeit im Sozialstaat beleuchten und theoretische wie empirische Beiträge zusammenführen, die neue Perspektiven auf die zeitliche, intergenerationale und interdependente Logik sozialstaatlicher Politik eröffnen. Mögliche Leitfragen sind:
- Wie lässt sich Generationengerechtigkeit im Kontext sozialstaatlicher Ordnungssysteme theoretisch begründen?
- Welche Formen und Instrumente einer generationengerechten Sozialpolitik lassen sich identifizieren und wie wirken sie auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Lebensphasen?
- Inwiefern stehen horizontale Gerechtigkeitsprinzipien (Bedarfs-, Leistungs-, Chancen- oder Teilhabegerechtigkeit) in Konkurrenz zu langfristigen intergenerationalen Zielen oder können sie diese ergänzen?
- Wie können Zukunftsinvestitionen, etwa in Bildung, Care, soziale Infrastruktur oder Klimaschutz, als Bestandteil eines investiven Sozialstaates konzipiert und bewertet werden?
- Welche Governance-Formen oder Indikatoren (z. B. Zukunftsquoten, Nachhaltigkeitsberichte, intergenerationale Gerechtigkeitsindizes) eignen sich zur Bewertung generationengerechter Politik?
- Wie lässt sich ein Generationendialog gestalten, der über den Verteilungskonflikt hinaus Perspektiven solidarischer Zukunftsgestaltung eröffnet?
Eingeladen sind Beiträge aus Ökonomie, Soziologie, Politikwissenschaft, Sozialethik, Rechts- und Verwaltungswissenschaften sowie angrenzenden Disziplinen. Willkommen sind sowohl theoretische und normative Ansätze als auch empirische Analysen zu institutionellen Strukturen, politischen Entscheidungsprozessen oder Wahrnehmungen von Gerechtigkeit. Auch internationale und vergleichende Beiträge sind ausdrücklich erwünscht.
Einreichungsmodalitäten:
Abstract: max. 3.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen)
Einreichungsfrist für Abstracts: 2. Februar 2026
Benachrichtigung über Annahme: 12. Februar 2026
Einreichung der vollständigen Beiträge: 13. April 2026
Geplanter Erscheinungstermin: Sommer 2026
Bitte senden Sie Ihr Abstract sowie eine Kurzvita an: redaktion@sozialerfortschritt.de
[1] Sesselmeier, W., 2025. Generationengerechtigkeit im Kontext des Sozialstaates: Welche Rolle spielt sie, wenn es um die Zukunft des Sozialstaates geht? GVG-Perspektive, 21. Jan. [online] Verfügbar unter: https://gvg.org/de/article/514.generationengerechtigkeit-im-kontext-des-sozialstaates-welche-rolle-spielt-sie-wenn.html [Zugriff: 14.10.2025].